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AVIVA-BERLIN.de 2/21/5785 - Beitrag vom 03.09.2007


Wiedereinweihung Synagoge Rykestraße und Eröffnung 21. Jüdische Kulturtage 2007
Sharon Adler

Die größte Synagoge Deutschlands wurde nach dreijähriger Bauzeit am 31. August 2007 feierlich wieder eröffnet. Ein Ort der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für 1.200 Menschen




Der Innenraum der 1904 gebauten Synagoge Rykestraße wurde für fünf Millionen Euro weitgehend originalgetreu wieder hergestellt. Große farbige Glasfenster und prachtvolle Verzierungen prägen den im neoromanischen Stil entworfenen Raum, in dem bei Gebeten und Konzerten jüdischer KünstlerInnen 1.200 Menschen Platz finden.

Im Baualbum der 1904 gebauten Synagoge Rykestraße heißt es: "Der Chorbau ist so groß angelegt, daß neben dem Platz für die Chorsänger auch noch Raum für eine eventuell aufzustellende Orgel bleibt". Vorerst wurde jedoch keine Orgel eingebaut. Die Synagoge Rykestraße stellte eine Besonderheit in der Berliner Synagogenlandschaft dar: Der Gottesdienst fand nach altem Ritus statt. Neben orthodoxen amtierten auch liberale Rabbiner. Neben Jugendgottesdiensten gab es auch Bat Mizwa Feiern. Im Jahr 1925 wurden 22 Mädchen durch Rabbiner Dr. Weyl, der auch ein Mentor der weltweit ersten Rabbinerin Regina Jonas war, Bat Mizwa.

1934 wurde eine neue Liturgie am Freitagabend eingeführt und zwei Jahre später auch für Samstagvormittag. Diese trug den veränderten Bedürfnissen nach traditionelleren Formen Rechnung. In dieser Zeit gewannen Vorträge, Sprachkurse und Konzerte an Bedeutung, da die jüdische Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wurde. Die im Vorderhaus befindliche jüdische Grundschule mußte deshalb erweitert werden. Sie war im Vorderhaus des Gebäudes 1904 für 500 Kinder eröffnet worden und wurde nun von 700 Kindern besucht. Baracken wurden im Hof aufgestellt und ein zusätzlicher Standort in der Choriner Straße eröffnet.

Während der Reichspogromnacht wurde das Gebäude nur deshalb nicht niedergebrannt, da die umliegenden "arischen" Häuser nicht gefährdet werden sollten. Der Synagogenraum wurde demoliert; Torahrollen wurden geschändet, Rabbiner und Gemeindemitglieder verhaftet und in das nahegelegene KZ Sachsenhausen deportiert. Nach Reparaturarbeiten konnte die Synagoge an Pessach wieder geöffnet werden.
Der letzte Gottesdienst fand im April 1940 statt.

1944 wurde die Gemeinde gezwungen, dem Bezirk Prenzlauer Berg für eine läppische "Kaufsumme" das Grundstück samt Synagoge und Vorderhaus zu überlassen. Das Gebäude wurde für die Heeresstandortverwaltung beschlagnahmt und enteignet und die Heeresverwaltung stellte hier Pferde unter, zweckentfremdete das Gebäude als Möbel- und Textillager.

Nach der Befreiung im Mai 1945 durch die Rote Armee waren im Vorderhaus zeitweise überlebende DPs (displaced persons, d.h. überlebende Juden aus Osteuropa) untergebracht. Von den 173.000 Juden, die 1925 noch in Berlin gelebt hatten, waren nach dem Krieg noch 6.500 übrig. 55.000 lebten nicht mehr, ihre Namen fanden sich unter dem Datum ihrer Deportation oder dem Todestag mit der Ortsangabe eines Ghettos oder Auschwitz, die anderen waren geflohen oder vertrieben worden.
Am 29. Juli 1945 traute Rabbiner Martin Riesenburger das erste Paar in einem Nebenraum. Er weihte auch die Synagoge am 30. August 1953 nach einer größeren Renovierung, die vom Magistrat der Stadt Berlin unterstützt worden war, wieder ein. Im selben Jahr wurde die jüdische Gemeinde geteilt. Die Synagoge Rykestraße wurde zum Zentrum der Ostberliner Gemeinde.

Nach großen Sturmschäden musste das Gebäude zwischen 1967 und 1978 in mehreren Etappen renoviert werden. Erst 1988 wurde die Grundbucheintragung von 1944 wieder rückgängig gemacht.
Die Wiedereinweihung des großen und kleinen Betraumes stießen auf großes öffentliches Interesse. Da die kleine Gemeinde - sie zählte 1990 etwas über zweihundert Mitglieder - sich keinen Rabbiner leisten konnte, amtierten zu den hohen Feiertagen Rabbiner und Kantoren aus dem Ausland. Das jährliche Synagogenkonzert mit dem Westberliner Kantor Estrongo Nachama und dem Leipziger Synagogenchor stieß regelmäßig auf große Resonanz.
Im Jahre 2004 musste die Synagoge aus bautechnischen Gründen komplett geschlossen werden.

Nach dreijähriger Bauzeit konnte diese einzigartige Synagoge zur Eröffnung der 21. Jüdischen Kulturtage am 31. August 2007 feierlich wieder eröffnet werden. Zur Eröffnungszeremonie gehörte das Anbringen der Mesusot, das Einheben der Thorarollen in den Thoraschrein und Ansprachen und Grußworte durch Dr. Gideon Joffe, Dr. Ehrhart Körting, Dr. Hermann Simon, Rabbiner Prof. Dr. Leo Trepp, Peter Sauerbaum, Rabbiner Ernst M. Stein und Charlotte Knobloch.
Einige der jüdischen Ehrengäste, Überlebende des Holocaust, waren seit siebzig Jahren nicht mehr hier und wollten Deutschland niemals mehr betreten. Chaim Rozwaski, der liberale Rabbiner der Berliner Jüdischen Gemeinde, hat als Kind die Shoah überlebt und dabei seine ganze Familie verloren. "Die Ermordeten sind hier mit uns", sagte er in seiner Predigt, "sie nehmen teil an dieser Feier, genau wie jüdische Menschen aus allen vier Ecken der Welt. Dass wir heute in Berlin sind, ist ein Wunder, ein Wunder von historischer Dimension."

Inzwischen gibt es in der Hauptstadt mit mehr als 12.000 Mitgliedern wieder die größte Jüdische Gemeinde Deutschlands.

Die Wiedereröffnung der Synagoge war zugleich der Auftakt der Jüdischen Kulturtage, bei denen bis zum 9. September 2007 unter anderem der israelische Popstar David Broza, der Violinist Daniel Hope sowie Hannelore Elsner, Joy Denalane und Stefanie Kloß (Silbermond) auftreten. An vergangenen Samstag lud die Jüdische Gemeinde zur Langen Nacht der Synagoge ein.
Weitere Infos unter:
www.juedische-kulturtage.org
www.synagoge-rykestrasse.de


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Beitrag vom 03.09.2007

Sharon Adler